In der Psychologie gibt es zahlreiche Kommunikationsmodelle. Ein Modell, das in Forschung und Praxis weit verbreitet ist, ist das sogenannte Eisbergmodell, das erstmalig von Freud eingeführt und von Paul Watzlawick und Edgar Schein weiterentwickelt wurde.
Das Eisbergmodell ist wie ein Röntgenblick in die Tiefen der Kommunikation und Unternehmenskultur. Auf den ersten Blick sieht man nur die Spitze des Eisbergs – also das, was sofort ins Auge fällt. Aber unter der Oberfläche lauert noch viel mehr: Emotionen, Werte und Bedürfnisse. Besonders in Unternehmen spielt das Modell eine große Rolle, wenn es darum geht, zu verstehen, wie Teams miteinander kommunizieren und wie Konflikte entstehen. Dabei sind vor allem die Sach- und Beziehungsebene spannend, denn oft liegen gerade hier die Knackpunkte für Missverständnisse und Konflikte.
Die Unternehmenskultur wird verstanden als ein gemeinsames Muster von Grundannahmen zum Lösen interner und externer Probleme, das in der Organisation gut funktionierte. Deshalb wird es auch neuen Mitgliedern des Unternehmens (bzw. der Organisation) vermittelt als der korrekte Weg zu denken und zu handeln. Grundannahmen einer Unternehmenskultur sind beispielsweise Sichtweisen hinsichtlich Wahrheit bzw. richtig vs. falsch, Raum und Zeit, die Natur des Menschen mit seinen Stärken und Schwächen sowie sein Verhalten.
Besonders relevant wird das Eisbergmodell dadurch, dass es explizit zwischen den sichtbaren und den nicht-sichtbaren Elementen einer Unternehmenskultur unterscheidet.
Wir bei Kraus & Partner nutzen das Eisbergmodell als anschaulichen Weg, um die Diskussion in Unternehmen, die sich oft auf die sichtbaren Elemente der Kultur konzentriert, auf die unsichtbaren und teilweise unbewussten Elemente der Kultur zu lenken. Ein Beispiel eines Change Prozesses soll die Anwendung des Modells verdeutlichen.
Situation: Das Unternehmen ABC entscheidet sich, die Abteilung für Produktentwicklung agil zu strukturieren, um Innovationen zu beschleunigen und die Time-to-Market zu verkürzen.
In jeder Kommunikation gibt es die Sachebene und die Beziehungsebene. Die Sachebene umfasst alles, was faktisch und rational ist: Zahlen, Daten, Fakten. In einem Teammeeting würde das etwa bedeuten, dass ein Kollege seine Analyse zur aktuellen Verkaufsstrategie vorstellt. Er spricht über Verkaufszahlen und Markttrends – reiner Inhalt.
Die Beziehungsebene dagegen ist das, was mitschwingt und wie die Worte beim Gegenüber ankommen. Diese Ebene umfasst all die subtilen Signale, die darüber informieren, wie wir zueinander stehen und was wir voneinander halten. Wenn zum Beispiel ein Kollege in einem Meeting plötzlich sagt: „Das hatten wir doch schon tausend Mal diskutiert!“, sagt er nicht nur, dass er das Thema für erledigt hält – auf der Beziehungsebene signalisiert er möglicherweise Frustration oder ein Gefühl von Respektlosigkeit gegenüber den Beiträgen der anderen.
Konflikte in Unternehmen haben oft tiefere Ursachen, als man auf den ersten Blick sieht. Wenn ein Kollege zum Beispiel eine Deadline verpasst, scheint das auf der Sachebene recht einfach: Er hat seine Aufgabe nicht rechtzeitig erledigt. Doch auf der Beziehungsebene wird dieses Verhalten oft anders interpretiert. Die anderen Teammitglieder könnten denken, dass er sich nicht für das Projekt interessiert, die Aufgaben nicht ernst nimmt oder generell unzuverlässig ist.
Genau hier wird das Eisbergmodell interessant: Es zeigt, dass solche Konflikte oft durch verborgene Faktoren geprägt werden. Der eigentliche Auslöser – wie eine verpasste Deadline – ist meist nur die Spitze des Eisbergs. Die wirklichen Ursachen, wie Stress und Überforderung durch eine mögliche Doppelbelastung, sind oft unsichtbar, aber für die Beteiligten spürbar. Ohne das Wissen um diese versteckten Ebenen kann ein scheinbar sachliches Problem schnell zu einem persönlichen Konflikt werden.
Das Eisbergmodell hilft hier, den wahren Kern des Konflikts zu verstehen: Die verpasste Deadline ist nur der sichtbare Teil, das echte Problem sind unausgesprochene Erwartungen und ein fehlendes Verständnis für die Doppelbelastung des Kollegen. Solche Konflikte lassen sich oft lösen, wenn beide Seiten gemeinsam „unter die Wasseroberfläche“ schauen und offen über ihre Anliegen sprechen.
Veränderungen im Unternehmen wie Umstrukturierungen oder neue Technologien stoßen oft auf Unsicherheiten und Widerstand, die nicht immer sofort erkennbar sind. Während die Veränderungen auf der Sachebene (sichtbare Neuerungen in Abläufen oder Tools) gut geplant erscheinen, entstehen auf der Beziehungsebene oft Ängste, Unsicherheiten und Fragen unter der Oberfläche. Das Eisbergmodell hilft, diese versteckten Reaktionen im Blick zu behalten und aktiv anzugehen. Eine wertschätzende, offene Change-Kommunikation kann die emotionalen Faktoren auf der Beziehungsebene ansprechen, um so Vertrauen zu schaffen und den Wandel zu unterstützen.
Das Eisbergmodell ist ein wertvolles Werkzeug sowohl im Change Management, als auch in der Kommunikation allgemein, da es dabei hilft, sichtbare und versteckte Verhaltenstreiber zu identifizieren. Es macht deutlich, dass Veränderungen nicht nur durch klare Strukturen und Prozesse erfolgreich werden, sondern ebenso durch das gezielte Ansprechen der tieferliegenden Emotionen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden.
Nachhaltiger Wandel ist demnach nur möglich, wenn man den Eisberg als ganze Einheit anpackt. Denn der Wandel muss mit positiven Gefühlen und Werten behaftet sein und das klappt nur, wenn man alle Beteiligten auf beiden Ebenen erreicht.Wer sowohl die Sach- als auch die Beziehungsebene berücksichtigt, kann Widerstände abbauen, Vertrauen schaffen und Veränderungen nachhaltig in der Unternehmenskultur verankern.
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