Eisbergmodell

In der Psychologie gibt es zahlreiche Kommunikationsmodelle. Ein Modell, das in Forschung und Praxis weit verbreitet ist, ist das sogenannte Eisbergmodell, das erstmalig von Freud eingeführt und von Paul Watzlawick und Edgar Schein weiterentwickelt wurde.

 

Das Eisbergmodell ist wie ein Röntgenblick in die Tiefen der Kommunikation und Unternehmenskultur. Auf den ersten Blick sieht man nur die Spitze des Eisbergs – also das, was sofort ins Auge fällt. Aber unter der Oberfläche lauert noch viel mehr: Emotionen, Werte und Bedürfnisse. Besonders in Unternehmen spielt das Modell eine große Rolle, wenn es darum geht, zu verstehen, wie Teams miteinander kommunizieren und wie Konflikte entstehen. Dabei sind vor allem die Sach- und Beziehungsebene spannend, denn oft liegen gerade hier die Knackpunkte für Missverständnisse und Konflikte.

Das Eisbergmodell in der Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur wird verstanden als ein gemeinsames Muster von Grundannahmen zum Lösen interner und externer Probleme, das in der Organisation gut funktionierte. Deshalb wird es auch neuen Mitgliedern des Unternehmens (bzw. der Organisation) vermittelt als der korrekte Weg zu denken und zu handeln. Grundannahmen einer Unternehmenskultur sind beispielsweise Sichtweisen hinsichtlich Wahrheit bzw. richtig vs. falsch, Raum und Zeit, die Natur des Menschen mit seinen Stärken und Schwächen sowie sein Verhalten.

 

Relevanz des Eisbergmodells

Besonders relevant wird das Eisbergmodell dadurch, dass es explizit zwischen den sichtbaren und den nicht-sichtbaren Elementen einer Unternehmenskultur unterscheidet.

 

Sichtbare Elemente (über dem Wasser) der Unternehmenskultur

 

  • Räumlichkeiten und Kleiderordnung: Die Art und Weise, wie Mitarbeiter gekleidet sind und die Gestaltung der Arbeitsumgebung reflektieren die sichtbaren Werte und Normen der Organisation.
     
  • Rituale und Symbole: Hierzu zählen regelmäßige Meetings, Team-Building-Aktivitäten und Firmenfeiern, aber auch Logos und andere sichtbare Aspekte der Unternehmenskultur.
     
  • Verhalten und Kommunikation: Wie sich die Mitarbeiter verhalten, miteinander interagieren und die Kommunikation allgemein im Unternehmen sind ebenfalls sichtbare Elemente der Unternehmenskultur.

 

Nicht-sichtbare Elemente (Unterwasser) der Unternehmenskultur

 

  • Gedanken und Gefühle: Was wir wirklich denken und wie wir uns in einem Unternehmen fühlen, sprechen wir selten direkt aus. Trotzdem lenken Gefühle unser Handeln und sind wichtig für das Commitment.
     
  • Werte und Prioritäten: Persönliche und gemeinsame Überzeugungen und Normen prägen den Alltag und die Arbeitsweise in einem Unternehmen.
     
  • Bedürfnisse: Die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Anerkennung der eigenen Leistungen sind Bedürfnisse, die alle Menschen teilen.  Auch der Wunsch nach Autonomie in den eigenen Aufgaben oder Teil einer Gemeinschaft zu sein, sind Beispiele für unsichtbare Bedürfnisse.

 

Grafik Eisbergmodell | Kraus & Partner

 

Anwendung des Eisbergmodells

Wir bei Kraus & Partner nutzen das Eisbergmodell als anschaulichen Weg, um die Diskussion in Unternehmen, die sich oft auf die sichtbaren Elemente der Kultur konzentriert, auf die unsichtbaren und teilweise unbewussten Elemente der Kultur zu lenken. Ein Beispiel eines Change Prozesses soll die Anwendung des Modells verdeutlichen.

Beispiel: Umstrukturierung der Abteilung für Produktentwicklung

Situation: Das Unternehmen ABC entscheidet sich, die Abteilung für Produktentwicklung agil zu strukturieren, um Innovationen zu beschleunigen und die Time-to-Market zu verkürzen.

 

Sichtbare Elemente der Unternehmenskultur

 

  • Projektziele und -strategien: Die Einführung neuer Teamstrukturen soll die Produktentwicklung effizienter und innovativer gestalten. Die sichtbaren Veränderungen umfassen die Bildung von Cross-Funktionalen Teams, die Einführung neuer Kommunikationskanäle und die Anpassung der Arbeitsabläufe.
     
  • Kommunikation: Das Management organisiert Team-Meetings und verteilt Infomaterial um die neue Struktur und die damit verbundenen Ziele zu erklären und alle Teammitglieder auf dem Laufenden zu halten.
     
  • Teamstruktur und Verantwortlichkeiten: Die neuen Teams werden offiziell benannt und die Verantwortlichkeiten der einzelnen Teammitglieder sind klar definiert und dokumentiert.

 

Unsichtbare Elemente der Unternehmenskultur

 

  • Widerstände und Bedenken: Mitarbeitende könnten unsicher auf ihre neuen Rollen und Verantwortlichkeiten reagieren, besonders wenn sie an ihrer bisherigen Position festhielten. Diese Ängste werden möglicherweise nicht offen kommuniziert und bleiben in persönlichen Gesprächen unausgesprochen.
     
  • Kulturelle Normen und Werte: Die alte Teamkultur war vielleicht stark hierarchisch und wenig kollaborativ. Die neuen, flachen Teamstrukturen und die Betonung auf Eigenverantwortung könnten auf Widerstand stoßen, da sie den gewohnten Arbeitsstil in Frage stellen.
     
  • Interne Dynamiken: Bestehende Beziehungen und informelle Machtstrukturen könnten durch die neuen Teamstrukturen gestört werden. Langjährige Mitarbeitende, die früher informell Führungsrollen hatten, könnten sich von der neuen Teamdynamik ausgeschlossen oder entwertet fühlen.

Umgang mit den unsichtbaren Elementen

  • Widerstände ansprechen: Widerstand bei Veränderungen ist völlig normal. Um verdeckte Bedenken frühzeitig zu erkennen und anzusprechen, können regelmäßige Feedback-Sitzungen und Einzelgespräche helfen.
     
  • Kulturelle Anpassungen unterstützen: Workshops und Teambuilding-Maßnahmen können helfen, die neue Kultur der Zusammenarbeit zu fördern und die Mitarbeitenden auf die Veränderungen vorzubereiten.
     
  • Interne Dynamiken berücksichtigen: Die Berücksichtigung und Integration der bisherigen informellen Führungsrollen und Beziehungen kann helfen, die Akzeptanz der neuen Teamstrukturen zu verbessern.

Das Eisbergmodell in der Kommunikation

Die Sach- und Beziehungsebene

In jeder Kommunikation gibt es die Sachebene und die Beziehungsebene. Die Sachebene umfasst alles, was faktisch und rational ist: Zahlen, Daten, Fakten. In einem Teammeeting würde das etwa bedeuten, dass ein Kollege seine Analyse zur aktuellen Verkaufsstrategie vorstellt. Er spricht über Verkaufszahlen und Markttrends – reiner Inhalt.

 

Die Beziehungsebene dagegen ist das, was mitschwingt und wie die Worte beim Gegenüber ankommen. Diese Ebene umfasst all die subtilen Signale, die darüber informieren, wie wir zueinander stehen und was wir voneinander halten. Wenn zum Beispiel ein Kollege in einem Meeting plötzlich sagt: „Das hatten wir doch schon tausend Mal diskutiert!“, sagt er nicht nur, dass er das Thema für erledigt hält – auf der Beziehungsebene signalisiert er möglicherweise Frustration oder ein Gefühl von Respektlosigkeit gegenüber den Beiträgen der anderen.

Konflikte im Eisbergmodell

Konflikte in Unternehmen haben oft tiefere Ursachen, als man auf den ersten Blick sieht. Wenn ein Kollege zum Beispiel eine Deadline verpasst, scheint das auf der Sachebene recht einfach: Er hat seine Aufgabe nicht rechtzeitig erledigt. Doch auf der Beziehungsebene wird dieses Verhalten oft anders interpretiert. Die anderen Teammitglieder könnten denken, dass er sich nicht für das Projekt interessiert, die Aufgaben nicht ernst nimmt oder generell unzuverlässig ist.

 

Genau hier wird das Eisbergmodell interessant: Es zeigt, dass solche Konflikte oft durch verborgene Faktoren geprägt werden. Der eigentliche Auslöser – wie eine verpasste Deadline – ist meist nur die Spitze des Eisbergs. Die wirklichen Ursachen, wie Stress und Überforderung durch eine mögliche Doppelbelastung, sind oft unsichtbar, aber für die Beteiligten spürbar. Ohne das Wissen um diese versteckten Ebenen kann ein scheinbar sachliches Problem schnell zu einem persönlichen Konflikt werden.

 

Das Eisbergmodell hilft hier, den wahren Kern des Konflikts zu verstehen: Die verpasste Deadline ist nur der sichtbare Teil, das echte Problem sind unausgesprochene Erwartungen und ein fehlendes Verständnis für die Doppelbelastung des Kollegen. Solche Konflikte lassen sich oft lösen, wenn beide Seiten gemeinsam „unter die Wasseroberfläche“ schauen und offen über ihre Anliegen sprechen.

Das Eisbergmodell im Change Management: Verborgene Widerstände sichtbar machen

Veränderungen im Unternehmen wie Umstrukturierungen oder neue Technologien stoßen oft auf Unsicherheiten und Widerstand, die nicht immer sofort erkennbar sind. Während die Veränderungen auf der Sachebene (sichtbare Neuerungen in Abläufen oder Tools) gut geplant erscheinen, entstehen auf der Beziehungsebene oft Ängste, Unsicherheiten und Fragen unter der Oberfläche. Das Eisbergmodell hilft, diese versteckten Reaktionen im Blick zu behalten und aktiv anzugehen. Eine wertschätzende, offene Change-Kommunikation kann die emotionalen Faktoren auf der Beziehungsebene ansprechen, um so Vertrauen zu schaffen und den Wandel zu unterstützen.

Praktische Anwendungen des Eisbergmodells im Change Management

  1. Einführung neuer Technologien: Ein Unternehmen führt eine neue Software ein, die Prozesse beschleunigen soll. Auf der Sachebene werden Schulungen angeboten, doch die Beziehungsebene birgt oft Unsicherheiten, wie „Schaffe ich das?“ oder „Bin ich jetzt überflüssig?“. Das Eisbergmodell zeigt hier, dass neben der technischen Schulung regelmäßige Feedback-Runden und Hilfestellungen sinnvoll sind. Eine begleitende Kommunikation, die zu Fragen ermutigt und Unterstützung anbietet, sorgt dafür, dass sich die Mitarbeitenden nicht allein gelassen fühlen und die Umstellung besser annehmen.
     
  2. Umstrukturierung von Teams: In einem Umstrukturierungsprozess werden Mitarbeitende neu gruppiert. Auf der Sachebene geht es um neue Aufgabenverteilungen. Doch viele Mitarbeitende fühlen sich auf der Beziehungsebene unsicher: „Wie wird die Zusammenarbeit im neuen Team sein?“ oder „Verstehe ich mich mit meinem neuen Chef?“. Hier ist es hilfreich, vor dem Start persönliche Gespräche zu führen und Teamevents zu organisieren, um den Teamgeist zu fördern und die Ängste, die im Verborgenen wirken, abzubauen. Die transparente Kommunikation über die Ziele der Umstrukturierung kann Vertrauen aufbauen.
     
  3. Einführung neuer Werte: Das Unternehmen möchte mehr Eigenverantwortung und Agilität in der Unternehmenskultur verankern. Auf der Sachebene ist dies eine Leitlinie. Doch auf der Beziehungsebene fragen sich einige: „Bedeutet das, dass ich mich völlig umstellen muss?“. Das Eisbergmodell macht deutlich, dass hier Klarheit und Unterstützung notwendig sind, um Vorbehalte abzubauen. Ein Ansatz ist, die Führungskräfte als Vorbilder für die neuen Werte zu etablieren und im Team darüber zu sprechen, wie die Veränderungen konkret aussehen sollen.

Fazit

Das Eisbergmodell ist ein wertvolles Werkzeug sowohl im Change Management, als auch in der Kommunikation allgemein, da es dabei hilft, sichtbare und versteckte Verhaltenstreiber zu identifizieren. Es macht deutlich, dass Veränderungen nicht nur durch klare Strukturen und Prozesse erfolgreich werden, sondern ebenso durch das gezielte Ansprechen der tieferliegenden Emotionen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden.

 

Nachhaltiger Wandel ist demnach nur möglich, wenn man den Eisberg als ganze Einheit anpackt. Denn der Wandel muss mit positiven Gefühlen und Werten behaftet sein und das klappt nur, wenn man alle Beteiligten auf beiden Ebenen erreicht.Wer sowohl die Sach- als auch die Beziehungsebene berücksichtigt, kann Widerstände abbauen, Vertrauen schaffen und Veränderungen nachhaltig in der Unternehmenskultur verankern.

 

 

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Eisbergmodell: Unternehmenskultur Analyse & Entwicklung

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