Ausgangssituation
Der Entwicklungsbereich eines Maschinenbau-Unternehmens möchte, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, innovativer werden und in der eigenen Planung verlässlicher. Die Lösung liegt für das Führungsteam auf der Hand: Wir müssen grundlegend Dinge ändern. Eine agile Entwicklung ist als Zielbild schnell definiert. Doch wie? Keiner der über 100 Entwicklungsmitarbeiter hat wirklich Vorerfahrung in diesem Bereich und Veränderung ist eher die Ausnahme als die Regel. Hier kam der Kontakt zu Kraus & Partner zustande.
Unser Beratungsansatz
Wie immer in unseren Organisationsentwicklungsprojekten starten wir mit einem Kick-off in dem wir den Veränderungsauftrag herausfordern und schärfen. Den Auftraggebern muss glasklar sein, was sich verändern soll und warum dies so wichtig ist.
Mit einer Stakeholderanalyse verschaffen wir uns einen Überblick über die relevanten Zielgruppen und Personen für das bevorstehende Vorhaben.
Wir erarbeiten erste Hypothesen zur IST-Situation als Basis für unsere Analyse-Phase. Ein Beispiel: Die Führungskräfte des Bereichs sind Teil des Problems, ihr Handeln verhindert die Übernahme von Verantwortung und das völlig unbeabsichtigt.
Im zweiten Schritt führen wir Interviews mit ca. 25 Personen, 20 aus dem Bereich und 5 direkte Schnittstellen. Wir validieren bzw. widerlegen darin unsere Hypothesen und schaffen ein Bild der Ausgangslage sowohl aus der Innenperspektive als auch aus Sicht der internen Partner.
In einem Spiegelworkshop präsentieren wir die Ergebnisse der Analyse – der Aha-Effekt und die Betroffenheit im Raum ist spürbar. Zum Beispiel hat sich die zuvor erwähnte Hypothese eher erhärtet: Führungskräfte agieren sowohl als Brandstifter als auch als Feuerlöscher – ein Teufelskreis.
Die Ergebnisse im Überblick
Eine weitere Erkenntnis: Es ist überhaupt keine Luft für Innovation, geschweige denn für Transformation – die Leute sind überlastet und überbucht.
In unserer zweiten Beratungsebene der Designebene, überlegen wir deswegen gründlich, in welchem Modus wir das Zielbild unseres Kunden erreichen können. Eine radikale Organisationsveränderung mit schnellen Tatsachen kann nicht das Mittel der Wahl sein.
Wir konzipieren einen Prozess über ein Jahr, der der Geschwindigkeit der Organisation angepasst ist. Einer der Gründe: Wir haben es mit Ingenieuren zu tun, diese möchten Veränderungen vor allem logisch verstehen und nachvollziehen können – das ist die Basis für Akzeptanz.
Wir starten damit „Luft zum Atmen“ zu schaffen, wir fordern Prozesse heraus, killen Meetings und animieren dazu, laufende Projekte auf Eis zu legen – es braucht Zeit im Kalender, um an der eigenen Transformation arbeiten zu können und diese Zeit in der Folge für Innovationsthemen zu nutzen.
Ab jetzt geht es in die Anwendungsebene: Der freigeräumte Tag wird mit einem Werkstattkonzept genutzt. Wir definieren Themen, die neu gedacht werden müssen, geben Impulse aus anderen Unternehmen und schaffen einen Prozess, in dem an diesen Werkstatttagen schnell Ergebnisse entstehen. Immer in anderen Teilnehmer-Konstellationen immer die betroffenen Player am Tisch.
Wir arbeiten u. a. an einem Entwicklungsleitbild, an der Gremienstruktur, an Meetinglogiken, an Standards, am Umgang mit Support und LCM-Themen und bekommen über diese Diskussionen nach und nach wichtige Impulse eines möglichen Organisationsdesigns.
Nach zwei Werkstatt-Monaten bringen wir diese Erkenntnisse zunächst in kleiner Runde zusammen. Die Gruppe ist sich einig: Es braucht einen radikalen neuen Organisationsansatz, um all die Schmerzpunkte zu adressieren und eine Chance zu haben, grundlegende Veränderung zu ermöglichen.
Die Erkenntnisse im Überblick
Klassische Hierarchien sollten aufgelöst werden und durch neue Rollenkonzepte ersetzt werden. Nach einigen Runden steht ein neues Organisationsdesign mit agilen Rollen, die ineinandergreifen und im Zusammenspiel die Schmerzpunkte der Vergangenheit lösen sollen.
Zum Beispiel ein Program Management, dass neutral und transparent den aktuellen Stand des Entwicklungsportfolios aufzeigt und Auswirkungen von Veränderungen sichtbar macht. Oder People Leads, die sich vollständig um die Personalentwicklung, disziplinarische Führung und das Kompetenzmanagement des Bereichs kümmert, und damit die besten Fachleute, die diese Rolle bisher mit übernommen haben, freispielt (Phänomen: Bester Fachmann wird Führungskraft). Oder Centers of Competence, die sich fachlich selbst weiterentwickeln und auf den neuesten Stand bringen.
Alles in allem: Ein radikaler Ansatz für dieses Unternehmen.
Wir verproben das Design mit einer kritischen Pilotgruppe und lassen diese dagegen treten. Wertvolles Feedback zur Weiterentwicklung, aber kein Showstopper.
Wir stellen das Design dem Betriebsrat und HR vor – volle Unterstützung.
Dann der Moment der Wahrheit: Wir laden die heutigen Führungskräfte zu einem Offsite ein und stellen diesen die Ideen des Designs und die Rollen vor – das Design bedeutet, dass alle FK ihre heutige Position mit vielen Pflichten, aber auch Privilegien zunächst verlieren. Alle Mitarbeiter haben die Chance, sich auf die neuen Rollen zu bewerben. Die passendsten Kollegen sollen in einem fairen und transparenten Prozess ausgewählt werden.
Wir erklären und sind da, um Emotionen aufzunehmen. Der Tag ist bewegend, aber bemerkenswert offen – auch die Führungskräfte spüren, dass sich etwas ändern muss.
In der Folge schaffen wir Dialogformate, um die bestehenden Führungskräfte zu begleiten und ihnen einen Informationsvorsprung vor ihren Mitarbeitenden zu schaffen.
Danach gibt es an allen Standorten Roadshows mit allen betroffenen Mitarbeitern – jede Rolle wird beleuchtet und der Prozess wird vorgestellt – eine Mischung aus Überraschung, Skepsis und Hoffnung.
Dann startet einer der Schlüsselmomente in der Organisationsentwicklung: der Matching-Prozess der neuen Rollen. Die Mitarbeiter können sich bewerben und führen kurze Eignungsgespräche mit dem Leiter der Entwicklung, HR und uns.
In einer Besetzungskonferenz bringen wir dann das Selbstbild der Bewerber mit dem Fremdbild eines demokratisch gewählten Gremiums zusammen – maximale Beteiligung.
In der Konferenz werden Besetzungsszenarien erarbeitet, das letzte Wort hat der Leiter des Bereichs. Das Ergebnis ist eine Werbung für partizipative Prozesse.
Ab diesem Zeitpunkt geht die volle Konzentration auf die Befähigung der neuen Rolleninhaber. Wir trainieren die Methodik (Scrum), schaffen Standards und Prozesse, stimmen Schnittstellen ab und setzen das Tooling auf.
Ziemlich genau ein Jahr nach dem Start der Werkstätten wird die Organisation auf agile Scrum Teams umgestellt. Die Organisationsentwicklung ist grundsätzlich abgeschlossen und wird noch punktuell von uns unterstützt.
Ergebnis
Die neue Organisation ist erst seit Frühjahr 2023 live. Erste Effekte waren jedoch bereits in den Monaten zuvor spürbar. Immer mehr Menschen haben Verantwortung übernommen und ihre Ideen eingebracht, wie man Dinge anders gestalten könnte.
Die Aufbruchstimmung ist groß, die Hoffnung überwiegt deutlich der vorhandenen Skepsis. Es liegt ein „das könnte tatsächlich klappen“ in der Luft.
Qualitäts-, Support- und Servicethemen werden innerhalb eines klaren Zeitbudgets abgefahren und kannibalisieren damit nicht die Neuentwicklungsprojekte.
Für uns als OE-Beratung war dieser Prozess ein besonderer: Selten werden Restrukturierungen bzw. Reorganisationen so intensiv und akribisch vorbereitet. Genau das beschreibt unseren Beratungsansatz jedoch auch am besten: Wir erforschen den Lösungsraum des Kundensystems und eruieren, welche Geschwindigkeit und welche Art von Interventionen die Organisation braucht, um eine Transformation erfolgreich durchzuführen.