Beim Entwickeln von Strategien für die Zeit nach der Corona-Pandemie können Unternehmen aktuell eigentlich nur auf Szenarien bauen, da der weitere Verlauf der Krise noch ungewiss ist: Über die Rahmenbedingungen nach der Krise kann man zurzeit nur spekulieren.
Strategien nehmen die Zukunft gedanklich
Generell gilt: Wenn Unternehmen Strategien entwickeln, fließen in diese stets Annahmen ein – zum Beispiel darüber, wie sich der Markt oder die Technik entwickelt, denn: Strategien nehmen die Zukunft gedanklich vorweg.
Eine in der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gängige Methode zum Entwickeln der den Strategien zugrunde liegenden Prognosen und zur strategischen Planung ist die Szenariotechnik. Ihr Ziel ist es, mögliche künftige Entwicklungen gedanklich vorweg zu nehmen, zu analysieren und möglichst zusammenhängend so zu beschreiben, dass hieraus zunächst
- Ziele, dann
- Handlungsstrategien und hieraus wiederum
- Maßnahmen
abgeleitet werden können.
Krise heißt: Die Entscheider können sich auf wenig Fakten stützen
Das Problem bei der Strategieentwicklung in Krisenzeiten wie der aktuellen Corona-Krise ist: Die Entscheider können sich anders als bei der Strategieentwicklung in normalen Zeiten bei ihrer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auf
- sehr wenig belastbare Daten, die ihnen zum Beispiel ihr Controlling liefert, und
- nachhaltige Trends, die ihnen Marktforschungsunternehmen prognostizieren, stützen.
Sie können letztlich nur Hypothesen formulieren und hierauf aufbauende Szenarien entwerfen. Dies tun die Entscheider in den Unternehmen auch, denn: Es ist und bleibt ihre Aufgabe, in ihren Organisationen jetzt die Weichen für die Zeit nach der Krise in Richtung Erfolg zu stellen.
Herausforderung Krise: Bei der Strategieentwicklung „agil“ bleiben
Hierbei können sie, um zwei Termini aus dem agilen Projektmanagement zu gebrauchen, letztlich nur iterativ und inkrementell agieren. Sie können also aufgrund ihres jeweils aktuellen Wissensstands stets nur vorläufige Strategien und hierauf aufbauende Maßnahmenpläne entwickeln, um dann regelmäßig zu überprüfen: Waren die Annahmen, die ihnen zugrunde lagen, richtig oder müssen wir unsere Strategie modifizieren? Die Entscheider in den Unternehmen können bei der Strategieentwicklung und Maßnahmenplanung aktuell sozusagen solange nur auf Sicht fahren, bis sich der Nebel zumindest gelichtet hat.
Die 6 Schritte der Strategieentwicklung mit Szenarien
Bei der Strategieentwicklung mit der Szenariotechnik werden mehrere Phasen unterschieden. Die Typischen seien nachfolgend – fokussiert auf die aktuelle Krisensituation – kurz beschrieben.
Schritt 1: Aufgaben-/Problemanalyse; Zieldefinition
Im ersten Schritt werden der Untersuchungsgegenstand beschrieben und ein vorläufiges Ziel der Strategiearbeit definiert. Also zum Beispiel: „Wir wollen eine Strategie formulieren, wie unser Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgeht und langfristig erfolgreich in seinem Markt agiert.“ Danach wird konkretisiert, was die Vokabeln „gestärkt“, „langfristig“ und „erfolgreich“ heißen. Anschließend werden die Faktoren ermittelt, die z.B. den Markt des Unternehmens und dessen Erfolg beeinflussen. Das Ergebnis dieser Phase sind eine konkrete Aufgaben- und Zielbeschreibung sowie Auflistung der Einflussfaktoren.
Schritt 2: Analyse der Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen
Nun wird untersucht, wie die Einflussfaktoren sich beeinflussen. Dies kann in Form einer Vernetzungstabelle geschehen. In ihr werden die Einflussfaktoren einander gegenübergestellt. Danach wird analysiert, welchen Einfluss die einzelnen Faktoren aufeinander haben – zum Beispiel: Wie wirkt sich eine erschwerte Beschaffung aufgrund höherer Handelsbarrieren auf unsere Produktivität und unsere Preise und diese wiederum auf unseren Umsatz und Gewinn aus? Danach werden die Einflussfaktoren gemäß ihrer Relevanz für das Erreichen des übergeordneten Ziels gerankt.
Das Ergebnis dieser Phase ist eine Übersicht über die Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen sowie ihre Relevanz für das Erreichen der Unternehmensziele.
Schritt 3: Ermittlung möglicher Szenarien
Diese Aufgabe wird momentan dadurch erschwert, dass aktuell vieles im Bereich des Möglichen liegt, was vor der Krise unmöglich schien. So zum Beispiel, dass Staaten aufgrund der „Systemrelevanz“ gewisser Güter einen Import-Stopp von diesen beschließen und diese künftig selbst produzieren. Oder dass ganze Märkte wie die Touristikbranche über Jahre zusammenbrechen. Oder dass der Nachschub solcher Rohstoffe wie der „seltenen Erden“ kollabiert.
Deshalb können viele Trends aus der Vor-Krisen-Zeit nicht fortgeschrieben werden. Und das Datenmaterial ist über Nacht veraltet. Dessen ungeachtet bleibt es ein zentrales Element der Szenarioentwicklung, die unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten zumindest der wichtigsten Einflussfaktoren ein- und abzuschätzen. So stellen sich zum Beispiel aktuell einem Lebensmittelhersteller mittelfristig die Fragen:
- Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Ernte im Herbst aus?
- Wird eine weltweite Lebensmittelknappheit entstehen, die unsere Produktionskosten in die Höhe treibt?
- Wie wirken sich die erhöhten Preise auf das Nachfrageverhalten in unseren Zielmärkten aus?
Und langfristig?
- Werden die Handelsketten eine noch größere Einkaufsmacht erlangen?
- Werden Staaten die industrielle Landwirtschaft verstärkt fördern und ihre Ausfuhrbestimmungen verschärfen?
- Wird der Bio-Trend in den Industrienationen einen weiteren Pusch erfahren?
Solche Einflussfaktoren nebst ihren möglichen Ausprägungen und Wechselwirkungen gilt es bei der Szenarioentwicklung zu bedenken. Entsprechend viele Szenarien sind aktuell zumindest theoretisch möglich. In der Praxis empfiehlt es sich für die weitere Strategiearbeit jedoch, die Zahl der Szenarien auf maximal ein halbes Dutzend zu begrenzen:
- die beiden Extremszenarien (Best und Worst Case),
- das Trendszenario und
- eventuell ein, zwei ausgewählte alternative Szenarien.
Mit Hilfe einer Wechselwirkungsanalyse kann deren Plausibilität geprüft werden.
Das Ergebnis dieser Phase ist eine Übersicht über die mögliche Ausprägung der verschiedenen Einflussfaktoren und eine handhabbare Zahl von Szenarien, mit denen weiter gearbeitet wird.
Schritt 4: Bewerten und Interpretieren der Szenarien
Die ausgewählten Szenarien werden nun mit ihren geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeiten sowie den mit ihnen verbundenen Chancen und Risiken einander gegenübergestellt. Hierauf aufbauend können die Unternehmen dann ermitteln,
- welche strategischen Optionen und Handlungsoptionen sie haben und
- an welchen Punkten ihre aktuelle Strategie geändert werden muss.
Die strategischen Optionen und Handlungsoptionen sind so lange nur theoretische, wie nicht der Gegencheck erfolgte, welche von ihnen für das Unternehmen überhaupt realisierbar sind – zum Beispiel aufgrund seiner Marktposition, seiner (finanziellen) Ressourcen, seiner Kompetenz. Hierauf aufbauend können dann Maßnahmen definiert werden, um sich für die realistischen Szenarien zu wappnen.
Das Ergebnis dieser Phase ist eine Gegenüberstellung der verschiedenen Szenarien nebst den Annahmen, die ihnen zugrunde liegen, sowie der hieraus abgeleiteten strategischen Optionen und Handlungsoptionen.
Schritt 5: Sich auf eine (vorläufige) Strategie verständigen
Ist dies geschehen, erfolgt nochmals ein Check: Sind die in Schritt 1 definierten Ziele überhaupt realistisch? Wenn nein, müssen diese modifiziert werden. Danach verständigen sich die Entscheider auf eine (vorläufige) Strategie, die das Unternehmen künftig verfolgt. Dieser Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess verläuft oft nicht konfliktfrei, denn: Aufgrund ihrer beruflichen Biografie und Funktion in der Organisation schätzen die Teilnehmer die Ist-Situation, die aus der Krise resultierenden Risiken und Chancen und somit auch die Handlungsmöglichkeiten verschieden ein. Zudem sind mit der strategischen Neupositionierung oft harte Entscheidungen verknüpft wie: Wir stellen bestimmte Geschäftsfelder oder Projekte ein. Oder wir entlassen Mitarbeiter. Deshalb gibt es in diesem Prozess nicht selten Top-Entscheider (und Bereiche), die sich zumindest als Verlierer empfinden, weshalb die Unternehmen anschließend nicht selten verkünden: „Vorstandsmitglied x hat wegen strategischer Differenzen das Unternehmen verlassen.“ Auch deshalb empfiehlt es sich, den Prozess der Strategieentwicklung durch einen neutralen, externen Moderator moderieren zu lassen, der kontroverse Diskussionen in eine zielführende Richtung lenkt.
Das Ergebnis dieser Phase ist eine Verständigung auf eine (vorläufige) Strategie im Wissen darum, auf welchen Annahmen sie basiert.
Schritt 6: Sich auf einen Plan B und Controllingmaßnahmen verständigen
Erleichtert wird das strategische Neustellen der Weichen aktuell dadurch, dass die momentane Schieflage vieler Unternehmen nicht auf Managementfehler zurückzuführen ist. Dies mindert die Gefahr, dass die Entscheider sich in wechselseitigen Schuldzuweisungen verstricken. Hinzu kommt die Tatsache, dass die beschlossene Strategie nur eine aufgrund des aktuellen Wissensstands entwickelte vorläufige ist. Dieses Bewusstsein gilt es den Beteiligten mit Nachdruck zu vermitteln.
Hieraus resultiert jedoch auch die Aufgabe, sich zumindest grob auf einen Plan B zu verständigen für den Fall, dass vieles anders als gedacht kommt. Zudem ist mit dem „Sich-commiten“ auf eine neue Strategie unlösbar die Aufgabe verknüpft, sich auf Monitoring- und Controllingmaßnahmen zu verständigen, inwieweit sich die ihr zugrunde liegenden Annahmen im Zeitenverlauf als zutreffend erweisen. Zudem gilt es einen Fahr- und Zeitplan zu definieren, wann und wie die Entscheider überprüfen, ob das Unternehmen mit der vereinbarten Strategie seine Ziele erreicht oder ob eine Modifikation der Strategie und des Maßnahmenplans nötig ist.
Entwicklung von „Krisen-Bewältigungs-Strategien“ mit K&P
Die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner unterstützt Unternehmen beim Entwickeln kurz-, mittel- und langfristiger Strategien u.a. für die Bewältigung der Corona-Krise bzw. für die Nach-Corona-Zeit – unter anderem mittels von K&P-Beratern moderierten Strategieworkshops. Außerdem unterstützt sie Unternehmen und deren Mitarbeiter bei der Strategieumsetzung im Betriebsalltag.
K&P-Video: die verschiedenen „Strategieschulen“ – erklärt von Dr. Georg Kraus